Die deutsche Wirtschaft steht unter massivem Reformdruck. Zu viele Vorschriften, zu viele Berichts- und Nachweispflichten, zu wenig Fortschritt: Mit deutlichen Worten hat die Hauptgeschäftsführerin der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), Helena Melnikov, auf der 3. DIHK-Bürokratieabbaukonferenz in Berlin ein Umdenken in Politik und Verwaltung gefordert. „Der Abbau überflüssiger Vorschriften und Pflichten ist längst überfällig“, erklärte Melnikov. „Es ist allerhöchste Zeit, den Reset-Button zu drücken: Alles stoppen, was in den aktuellen Gesetzesvorhaben zu weiteren Belastungen der Unternehmen führt.“
Bürokratie als Wachstumsbremse – Unternehmen verlieren Geduld
Seit Jahren klagen Betriebe über zunehmende Regulierungsflut aus Berlin und Brüssel. Neue Berichtspflichten, langwierige Genehmigungsverfahren und komplizierte Dokumentationsvorgaben lähmen Investitionen und blockieren Innovationen. „Eine Wirtschaft in Wartestellung investiert nicht und gibt im schlimmsten Fall den Standort auf“, warnte Melnikov. Die DIHK sieht den Reformbedarf als überfällig an – und fordert eine radikale Kehrtwende im politischen Denken. „Deutschland muss vom Prinzip Misstrauen zum Prinzip Ermöglichung wechseln.“
Laut aktuellen Umfragen unter den Mitgliedsunternehmen der IHK-Organisation sehen sich über 60 Prozent der Betriebe durch Bürokratie in ihrem Wachstum behindert. Besonders kleine und mittlere Unternehmen, die nicht über eigene Rechts- oder Compliance-Abteilungen verfügen, sind betroffen.
Pragmatismus statt Papierflut
Melnikov verwies in ihrer Rede auf erfolgreiche Beispiele, die zeigen, dass schnelles und entschlossenes Handeln möglich ist. „Bei den LNG-Terminals oder bei Projekten zur Landesverteidigung haben wir gesehen, dass der Staat pragmatisch und lösungsorientiert handeln kann, wenn er muss. Diesen Pragmatismus brauchen wir flächendeckend – für die gesamte Wirtschaft.“
Gerade im internationalen Vergleich falle Deutschland zunehmend zurück, wenn es um die Umsetzung von Investitionsvorhaben gehe. Genehmigungsverfahren dauerten hierzulande oft doppelt so lange wie in anderen europäischen Staaten. „Unsere Wettbewerbsfähigkeit hängt direkt davon ab, wie schnell und einfach Unternehmen investieren und innovieren können“, betonte Melnikov.
Bürokratieabbaugesetz reicht nicht aus
Das Bürokratieentlastungsgesetz (BEG IV) der Vorgängerregierung habe zwar punktuelle Erleichterungen gebracht, die Wirkung werde jedoch durch neue Belastungen wieder zunichtegemacht. Allein die nationale Umsetzung der EU-Nachhaltigkeitsberichterstattung verursache laut Bundesregierung jährlich Kosten von rund einer halben Milliarde Euro. Hinzu kämen neue Verpflichtungen durch das geplante Tariftreuegesetz, das ebenfalls zusätzliche Dokumentationspflichten mit sich bringe.
„So schaffen wir keine Entlastung, sondern eine Dauerschleife aus neuen Vorschriften“, so Melnikov. Statt in immer neuen Regulierungszyklen zu denken, brauche es endlich eine systematische Überprüfung bestehender Regeln – mit dem Ziel, jede unnötige Belastung konsequent zu streichen.
Von Ankündigungen zu Ergebnissen
Melnikov begrüßte, dass die Bundesregierung das Thema Bürokratieabbau inzwischen zur Chefsache erklärt hat. Das neu geschaffene Ministerium für Digitales und Staatsmodernisierung sowie die angekündigte Modernisierungsagenda von Minister Wildberger seien richtige Schritte. „Jetzt müssen den Ankündigungen spürbare Erfolge folgen“, mahnte sie.
Die Idee verbindlicher Praxis-Checks in allen Ressorts sei ein wichtiger Ansatz, um neue Bürokratielasten zu verhindern. Entscheidend sei jedoch, dass die Ergebnisse dieser Praxis-Checks tatsächlich in die Gesetzgebung einfließen. „Wenn Unternehmen frühzeitig einbezogen werden, können viele praxisferne Vorgaben vermieden werden. Das spart Zeit, Geld und Nerven – auf beiden Seiten.“
Deutschland muss auch in Brüssel Druck machen
Die DIHK fordert die Bundesregierung zudem auf, sich auch auf EU-Ebene deutlich stärker für Entlastungen einzusetzen. „Die Ankündigung der EU-Kommission, 25 Prozent der Berichtspflichten für Unternehmen zu streichen, ist richtig“, sagte Melnikov. „Aber entscheidend ist, dass daraus konkrete und messbare Entlastungen entstehen, die bei den Unternehmen vor Ort tatsächlich ankommen.“
Die geplanten Omnibusgesetze zur Zusammenfassung und Vereinfachung von EU-Vorschriften könnten ein wichtiger Schritt in diese Richtung sein – vorausgesetzt, sie werden zügig umgesetzt. Deutschland müsse hier eine aktive Rolle übernehmen und selbst Vorschläge für eine Vereinfachung europäischer Berichtspflichten einbringen.
Reset für Verwaltung und Gesetzgebung
„Bürokratieabbau darf kein Lippenbekenntnis bleiben, sondern muss zur politischen Kernaufgabe werden“, forderte Melnikov. Die Verwaltung müsse digitaler, schlanker und effizienter werden, Gesetze einfacher und verständlicher. „Wenn wir Wirtschaftswachstum, Innovation und Beschäftigung sichern wollen, müssen wir die Unternehmen von unnötiger Bürokratie befreien – jetzt, nicht irgendwann.“
Die DIHK will den Reformprozess weiterhin aktiv begleiten und bietet der Bundesregierung an, gemeinsam mit der Wirtschaft Prioritätenlisten für den Abbau besonders belastender Vorschriften zu entwickeln. „Es ist Zeit, Deutschland wieder in den Modus des Machens zu bringen“, so Melnikov. „Mit einem echten Reset im Bürokratiedschungel schaffen wir Raum für Neues – und damit für Zukunft.“












